In weiten Kreisen der Bevölkerung, aber auch bei manchen Ärzten ist die Meinung verbreitet, man könne einen "echten Alkoholkranken" überhaupt nicht heilen. Wenn jemand erst einmal richtig dem Alkohol verfallen sei, könne man ihm auf die Dauer doch nicht helfen, d.h., man müsse ihn sozusagen "abschreiben". Eine solche Meinung gründet sich letztlich in dieser allgemeinen Aussage auf ein Vorurteil, wenngleich nicht bestritten werden kann, dass es einzelne Alkoholkranke gibt, bei denen diese pessimistische Prognose zutrifft. Sicher ist, dass die Alkoholkrankheit nur geheilt werden kann, wenn die Betroffenen mit all ihren Kräften mitarbeiten. Es verhält sich hier also im Prinzip anders als bei vielen körperlichen Krankheiten, wo man sich "behandeln lassen" kann. (Freilich wissen wir, dass auch hier der entschlossene Wille zur Gesundung einen wesentlichen Heilfaktor darstellt.) Beim Alkoholkranken wie bei den anderen Suchtkranken besteht aber oft, zumindest am Anfang, eine zwiespältige (ambivalente) Einstellung. Die Verleugnungstendenzen wurden schon erwähnt. Wenn Betroffene manchmal auch einsehen, dass sie Probleme mit dem Alkohol haben, so ist ihr Entschluss, in Zukunft darauf zu verzichten, doch oft recht halbherzig. Die meisten Alkoholkranken glauben, sie könnten sich allein helfen (was in Wirklichkeit nur den wenigsten gelingt). Wenn aber eine entsprechende Behandlung über genügend lange Zeit durchgeführt wird und eine gute Motivation besteht, so sind die Chancen so günstig wie bei vielen anderen vergleichbaren Krankheiten.
Was meint: motiviert sein zur Behandlung?
Nur die wenigsten Alkoholkranken können bzw. wollen von einem Moment zum andern mit dem Trinken aufhören. Der Wille zur Abstinenz muss sich erst entwickeln. Diese Entwicklung erfolgt im Allgemeinen in 6 Schritten (Zwischenzielen):
1. Erkenntnis, dass eine Änderung der gegenwärtigen Situation notwendig ist ("So geht es nicht mehr weiter");
2. Anerkennung der Hilfsbedürftigkeit ("Ich schaffe es nicht mehr allein");
3. Akzeptieren der angebotenen Hilfe ("Ich lasse mir helfen");
4. Akzeptieren, alkoholabhängig zu sein ("Ich bin ein Alkoholkranker");
5. Anerkennung des Abstinenzzieles ("Ich akzeptiere, dass ich keinen Alkohol mehr trinken darf");
6. Anerkennung des Ziels des allgemeinen Verhaltenswandels ("Ich muss mein Leben anders gestalten, wenn ich nicht mehr rückfällig werden will").
Den Alkoholkranken bei der Entwicklung dieser Schritte zu unterstützen, ist das vornehmliche Behandlungsziel der Kontakt- und Motivierungsphase und oft auch der schwierigste Teil im gesamten Behandlungsverlauf.
"Zur Behandlung motiviert sein" meint deshalb, dass der Alkoholkranke bereit ist, aus den beschriebenen Erkenntnisschritten heraus konsequent jene Hilfen in Anspruch zu nehmen, die ihm von den Fachleuten (z.B. Ärzten, Mitarbeitern in Beratungsstellen) angeboten werden.
Welche Voraussetzungen gibt es für eine erfolgreiche Behandlung des Alkoholkranken?
Die wichtigste Voraussetzung ist, dass der Kranke richtig motiviert ist, d. h., dass er
- einsieht und anerkennt, dass seine Schwierigkeiten (gesundheitlich und gesellschaftlich) des Alkohols wegen entstanden sind,
- zur Mitarbeit in der Therapie und zur Annahme von Hilfe bereit ist.
Sehr wesentlich ist es, den Partner oder die ganze Familie in die Therapie mit einzubeziehen. Auch die Angehörigen sind über das ganze Alkoholismusproblem ausreichend aufzuklären und von der Notwendigkeit einer entsprechenden Behandlung zu überzeugen. Zum anderen hat sich gezeigt, dass die Angehörigen, insbesondere die Partner, oft eine verhängnisvolle Rolle bei der Entstehung und Aufrechterhaltung des Alkoholismus spielen. Dabei ist ihnen dies manchmal gar nicht bewusst. Es kann z. B. vorkommen, dass der Betroffene aus Trotz gegen das häufige Herumnörgeln seines Ehepartners noch mehr trinkt. Deswegen kommt es bei der Behandlung auch sehr auf das entsprechende Verhalten des Partners an.