Die psychische Störungen durch Alkoholmissbrauch

Welche psychischen Störungen können durch Alkoholmissbrauch entstehen?

Die durch den Alkoholmissbrauch bedingte Hirnschädigung äußert sich auf psychischem Gebiet vor allem
– in Störungen des Gedächtnisses,
– in einer allgemeinen Verlangsamung,
– im Nachlassen der Urteils- und Kritikfähigkeit und
– in einer Veränderung des Gefühlserlebens mit Enthemmung, Rührseligkeit, zunehmender Gleichgültigkeit.

Die Interessen engen sich immer mehr auf den Alkohol ein, Aufgaben und Verpflichtungen verlieren an Bedeutung (z.B. gegenüber der Familie und dem Beruf). Angst und traurige Verstimmung mit Schuldgefühlen und Selbstmordgedanken herrschen vor. Nicht selten kommt es besonders im Rauschzustand zu aggressiven Handlungen. Neben diesen Veränderungen der Gesamtpersönlichkeit können manchmal auch Störungen auftreten, die in den Bereich der Geisteskrankheiten gehören wie Sinnestäuschungen (Halluzinationen), Verwirrtheitszustände mit Verlust der Orientierung von Raum und Zeit, Wahnideen (z. B. Verfolgungs- oder Eifersuchtswahn).

In seltenen Fällen, besonders nach Alkoholdelir und bei unzureichender, vitaminarmer Ernährung, können die Störungen des Gedächtnisses und der Orientierung sehr erheblich sein und jahrelang bestehen bleiben (sogenanntes Korsakow-Syndrom). Die Kranken verkennen ihre derzeitige Umgebung und leben gleichsam in einer anderen Situation, die meist aus ihrem früheren Leben stammt. Diese Patienten sind deshalb häufig nicht mehr in der Lage, ihre Angelegenheiten selbst zu besorgen. Sie müssen dann in Pflegeheimen betreut werden.

Was sind Gedächtnislücken ("Filmriss")?

Alkohol schädigt das Gedächtnis in mehrfacher Hinsicht. Durch Alkohol wird vor allem das "Kurzzeitgedächtnis" beeinflusst. Der Alkoholisierte kann sich z. B. nicht mehr erinnern, in welchem Lokal er war, was er alles gesagt und getan hat, wie er überhaupt nach Hause gekommen ist ("Gedächtnislücken"). Es ist ohne weiteres möglich, dass Familienangehörige und Freunde diese Folgeerscheinungen nicht bemerken und dass der Betroffene selbst sich völlig unauffällig verhält.
Die Gedächtnislücken sind Ausdruck einer akuten Vergiftung des Gehirns. Sie können schon relativ früh im Verlauf einer "Alkoholkarriere" auftreten. Gedächtnislücken gelten als Anzeichen dafür, dass eine alkoholbedingte Hirnschädigung eingetreten ist.

Was ist das Alkoholdelir (Delirium tremens)?

Eine weitere, relativ häufige psychische Störung bei Alkoholismus ist das Delirium tremens (auch als "Delir" bekannt). Es ist eine lebensbedrohliche, akute Geisteskrankheit, die häufig nach einem plötzlichen Alkoholentzug ("Alkoholentzugsdelir") z.B. bei akuten körperlichen Krankheiten und folgender stationärer Behandlung auftritt. Es kommt dabei zu schweren Angst- und Unruhezuständen sowie Sinnestäuschungen (z. B. "Sehen" von weißen Mäusen und anderen Kleintieren oder von Fäden und "Erleben" von meist grausigen Geschehnissen), auch zu Krampfanfällen. Die Kranken zittern und schwitzen sehr stark und sind manchmal fiebrig. Wenn keine rechtzeitige und sachkundige Behandlung erfolgt, sterben etwa 20% der Kranken, und zwar innerhalb weniger Tage. Das Delirium tremens klingt je nach Behandlung nach einigen Tagen bis maximal 2 Wochen wieder ab. Es können jedoch Störungen der Merkfähigkeit und andere Zeichen einer Hirnschädigung (Seite 19 f) bestehen bleiben.

Schädigt Alkohol das ungeborene Kind?

Wie viele andere Drogen tritt auch der Alkohol bei der schwangeren Frau in den Organismus des Embryos über. Genauso, wie Alkohol in größerer Menge die Mutter schädigt, wird natürlich auch das Kind betroffen; die Gefahr für das Kind ist jedoch weitaus höher, weil sich ja das Gehirn und der gesamte Organismus des Kindes noch in der Entwicklung befinden, nicht ausgereift und damit auch anfälliger sind. Bei langjährigem hohem Alkoholkonsum, der bis in die ersten Monate der Schwangerschaft hinein anhält, werden häufig schwere Schädigungen des Kindes beobachtet, z.B. geringere Körper- und Schädelgröße, Anomalien der Extremitäten, der inneren Organe und der Genitalien, Störungen der geistigen und motorischen Entwicklung (Alkoholembryopathie). Schwangeren Frauen wird von ihren Ärzten dringend geraten, während der Schwangerschaft auf Alkohol völlig zu verzichten.

Ist der Vater alkoholkrank, sind keine Missbildungen zu erwarten, da die Samenzellen des Mannes vom Alkohol nicht so verändert werden, dass damit Schädigungen des Kindes verbunden sind. Auch im Alkoholrausch gezeugte Kinder ("Rauschkinder") sind in körperlicher Hinsicht nicht stärker gefährdet als die Kinder, die nicht unter Alkohol gezeugt werden. Wenn sie jedoch in einer Familie mit einem Alkoholkranken aufwachsen, sind sie in jedem Falle in psychosozialer Hinsicht gefährdet.

Was ist ein Alkoholrausch?

Wenn jemand innerhalb kürzerer Zeit größere Mengen Alkohols zu sich nimmt, kommt es zu einer akuten Vergiftung des Körpers, vor allem des Gehirns. Sie äußert sich in einem Zustand gehobener Stimmung, meist verbunden mit Rededrang und gesteigerter Erregbarkeit. Der Alkoholrausch ist also eine akute Alkoholvergiftung, von der aus fließende Übergänge zu schweren Vergiftungszuständen mit Bewusstlosigkeit und u. U. tödlichem Ausgang bestehen.

Der Alkoholrausch ist nicht notwendigerweise mit dem Alkoholismus verknüpft; nicht jeder Berauschte ist also alkoholkrank. Die Stärke des Rausches ist nicht nur von der Höhe des Blutalkoholspiegels, sondern auch von vielen anderen Bedingungen (z.B. körperliche und seelische Verfassung, aktuelle Befindlichkeit u. ä.) abhängig. Wir können also nicht davon ausgehen, dass mit einer bestimmten Alkoholmenge auch ein bestimmter Rauschzustand eintreten würde. Dennoch kann man nach bestimmten Gesichtspunkten 3 Rauschstadien beschreiben:

Leichter Rausch: Herabsetzung der psychomotorischen Leistungsfähigkeit, allgemeine Enthemmung, vermehrter Rede- und Tätigkeitsdrang, Beeinträchtigung der Fähigkeit kritischer Selbstkontrolle, erhöhte Bereitschaft zum Kontakt mit anderen, subjektives Gefühl der erhöhten Leistungsfähigkeit.

Mittelgradiger Rausch: Dieser Zustand ist gekennzeichnet durch übersteigerte Glücksstimmung oder aggressive Gereiztheit. Die Orientierung ist noch ungestört. Umweltsituationen und ihre Bedeutung werden durchaus richtig erkannt, jedoch kommt es zu einer Verminderung der Selbstkritik, insbesondere gegenüber der eigenen Rolle in der gegenwärtigen Situation, weiterhin zu Enthemmung, Benommenheit, psychomotorischer Unsicherheit. Das Verhalten ist im besonderen abhängig von der jeweiligen äußeren Situation, was sich in Sprunghaftigkeit und in der Bereitschaft zu primitiven, vorwiegend aggressiven Reaktionen äußert.

Schwerer Rausch: In diesem Zustand kommt es zu schweren Bewusstseinsstörungen und dem Unvermögen, die gegebene Situation wirklichkeitsnah einzustufen, es kommt zu Desorientiertheit, zu motivlosen Angst- oder Erregungszuständen. Vielfach kommt es auch zu schweren körperlichen Ausfallerscheinungen, z. B. Gleichgewichtsstörungen bis hin zur Unfähigkeit zu gehen.
Übermäßiger Alkoholkonsum und besonders der Alkoholrausch werden in der Regel von einer Reihe von körperlichen Störungen gefolgt, die als "Kater" bezeichnet werden. Es bestehen fließende Übergänge zu den Alkoholentzugserscheinungen.

Kann Alkohol tödlich wirken?

Werden größere Mengen Alkohol innerhalb relativ weniger Stunden getrunken, so treten schwere Vergiftungserscheinungen auf, die u. U. rasch zum Tode führen können. Der Körper ist bei raschem Trinken nicht mehr in der Lage, den Alkohol zu verarbeiten, so dass die Blutalkoholkonzentration sehr hoch ansteigt. Bei Erwachsenen tritt der Tod meist bei einer Blutalkoholkonzentration über 4 Promille ein, manchmal aber auch schon viel früher. Todesfälle an akuter Alkoholvergiftung werden schon bei einem Blutalkoholspiegel ab 1,8 Promille beobachtet, denn die Alkoholverträglichkeit ist von Mensch zu Mensch verschieden. Ab ca. 5 Promille sterben mehr als 90% der Betroffenen. Bei längerer Gewöhnung an Alkohol werden andererseits auch höhere Mengen überlebt.

Wer reagiert besonders empfindlich auf Alkohol?

Besonders empfindlich reagieren auf Alkohol Kinder, körperlich und psychisch Kranke, Personen im Laufe der Genesung nach körperlicher Krankheit (Rekonvaleszenten), nach Kopfverletzungen (Schädel-Hirn-Traumen), nach Gehirn- und Gehirnhautentzündungen (Enzephalitis und Meningitis), Personen im starken Affekt (sehr aufgeregte, traurige oder gutgelaunte) und auch Personen, die gleichzeitig Medikamente nehmen.

Die schnelle Reaktion auf Alkohol hängt weiterhin vom allgemeinen körperlichen Zustand (Müdigkeit, Erschöpfung, Schläfrigkeit) und von der bisherigen Stärke der Gewöhnung an Alkohol ab. In all diesen Fällen sprechen wir von gesenkter Toleranz (= gesenkte Verträglichkeit) gegen Alkohol.

Ist die Lebenserwartung der Alkoholkranken beeinträchtigt?

Die Lebenserwartung des Alkoholkranken im Vergleich zu jener eines Nichtalkoholkranken ist schwer zu beurteilen, weil der Alkoholismus allein selten die Todesursache von Alkoholkranken darstellt. Viele der oben aufgeführten alkoholbedingten Schädigungen können jedoch zum Tode führen. Dadurch kommt es zu einer Verminderung der allgemeinen Lebenserwartung. Außerdem bringt der Alkoholismus durch die Organschädigungen und die Beeinträchtigung der psychischen Leistungsfähigkeit eine erhöhte Anfälligkeit für viele andere Krankheiten mit sich. Alkoholkranke begehen auch wesentlich häufiger Selbstmord als Nichtalkoholkranke, ebenso sind sie durch Unfälle am Arbeitsplatz, im Verkehr und zu Hause besonders gefährdet.